Beziehung, Partnerschaft und Sexualität

Gedankenanstösse von Matthias Govinda

Um es vorweg zu nehmen - eine Partnerschaft ohne gemeinsam Sexualität zu leben ist für mich nicht vorstellbar. Lebendige Sexualität ist ein unabdingbarer Teil von Partnerschaft - mehr aber auch nicht, zumal Sexualität jederzeit und an allen Orten und mit den unterschiedlichsten Menschen geweckt werden kann und auch gelebt werden sollte. Soweit die Theorie.

Partnerschaft ist nicht gleich Beziehung, da nicht jede Beziehung auch eine Partnerschaft ist. Unter Beziehung verstehe ich jegliche Form in der zwei Menschen in einen Austausch treten. Schon bei einer kurzfristig und zeitlich begrenzten Begegnung entsteht Beziehung, da sich je nach Intensität der Begegnung die energetischen Fäden von zwei Menschen miteinander verschlingen. Uns ist oftmals nicht bewusst, mit wie vielen Energiefäden anderer wir herumlaufen und was diese Bindungen mit uns in unserem Leben machen. Wir sind verknüpft und verstrickt und müssen dabei ziemlich aufpassen, uns nicht allzu sehr zu verheddern und ins Stolpern zu kommen. Aufräumen ist auch in diesem Bereich oftmals sehr sinnvoll!

Mal abgesehen davon, dass jeder Mensch unterschiedliche Vorstellungen hat, wenn der Begriff “Beziehung” fällt, kommt es oftmals zu einer Verwechslung von “Beziehung” und “Partnerschaft”. Wenn jemand sagt “Ich lebe in Beziehung” will er oder sie damit meist ausdrücken, dass sich an seiner oder ihrer Seite eine zweite Person befindet. Evolutionsgeschichtlich gesehen eine Form von Gemeinsamkeit, die wir schon bei unseren animalischen Vorfahren in unterschiedlichsten Varianten vorfinden. Auch zu Beginn der 3. Jahrtausends scheint der Mensch die Zweisamkeit nicht missen zu wollen.

Zu hinterfragen ist dabei weniger der Wunsch nach Vereinigung auf unterschiedlichsten Ebenen mit einer zweiten Person, als die vom Menschen für seine Paarwahl bevorzugten Rahmenmodelle. Beide Partner wählen, möglicherweise unter Einfluss von Verliebtheit und einem oftmals damit verbundenen schwärmerischen Realitätsverlust, weiterhin bevorzugt einen schriftlich festgehaltenem Zweisamkeitsvertrag, der die gemeinsame Gestaltung des Alltags mit der anderen Person regelt. Das wohl bekannteste und allgemein gesellschaftlich anerkannte Modell ist das der heterosexuellen Ehe. Dieses Modell ist wie kein anderer Vertrag mit emotionalen Vorstellungen und Begriffen verknüpft und die Essenz dieses Vertrages wird vielen erst bewusst, wenn sie ihn kündigen wollen.

Doch egal wie das Modell oder der Rahmen einer Partnerschaft aussehen mag - letztendlich geht es in jeder möglichen und denkbaren Konstellation darum, die Alltagsschnittmengen und Kontaktpunkte zu definieren. Was verbindet mich mit der anderen Person? Und je grösser die Schnittmengen, je mehr Kontaktpunkte vorhanden sind, um so mehr Ebenen hat die Partnerschaft. Und auf allen diesen Ebenen ist es im Idealfall möglich, täglich wieder neu “in Beziehung zu treten”.

Da jedoch beide Individuen eigenständig bleiben, kann es mit der Zeit dazu kommen, dass sich die Schnittmenge verändert, da sich die eine oder andere Person in eine Richtung entwickelt, die die Anzahl der Kontaktpunkte verringert. Da stellt sich dann die Frage, ob die Person an meiner Seite weiterhin die passende Person an meiner Seite ist. Also eine begleitende Person, die offen ist für mich und den Weg, auf dem es für mich persönlich weitergeht. Diese Frage ist in einer lebendigen Partnerschaft eigentlich täglich fällig. Eine bewährte Zeitspanne für einen gemeinsamen Weg ist die Dauer von sieben Jahren.

Manche Menschen versuchen, eine “offene Beziehung” zu leben, was vielleicht besser “offene Partnerschaft” heissen könnte. Unter “offener Beziehung” verstehen die meisten, dass Sexualität nicht allein innerhalb der “Zweierbeziehung”, sondern auch mit Menschen ausserhalb gelebt wird. Streng genommen ist jedes “In-Beziehung-Treten” mit Menschen ausserhalb der Zweisamkeit schon ein Modell einer “offenen Beziehung”. Denn schon jedwede Form von Attraktion, angefangen z.B. durch den Blickkontakt mit einer aussenstehenden Person auf der Strasse, ist eine Form von “Beziehung knüpfen” und damit im Sinne des oftmals vorhandenen Treuemodells eine Form von “Fremdgehen”. Eigentlich ist jeder Aussenkontakt “Fremdgehen”. Wenn sich dabei dann auch noch meine Sexualenergie regen sollte, lebe ich meine Lust mit einer aussenstehenden Person. Es muss somit keinen Geliebten und keine Geliebte geben, mit der heimlich oder offen eine sexuelle Vereinigung stattfindet. Ein Blick reicht.

Schwierig wird es, wenn die Bereitschaft, dem Partner den entsprechenden Freiraum zu geben, bei beiden beteiligten Personen unterschiedlich ausgeprägt bzw. auch der Wunsch nach aussen zu gehen unterschiedlich ist. (Wichtig ist mir an dieser Stelle zu betonen, dass bei dieser Bereitschaft ganz genau hingeguckt werden sollte, ob diese echt ist. Gefühle zu unterdrücken oder abzuspalten, den Körper abzuspalten, Eifersucht zu leugnen hat nichts mit Bereitschaft zu tun. Hier gilt es, sich selber gegenüber ehrlich zu sein.)

Ich kenne kein einziges Paar, das ehrlich zu sich selber (und anderen gegenüber) und zugleich in der Lage ist, Sexualität komplett offen zu leben. Ich kenne eine ganze Menge Paare, die sich mit dem Thema der “offenen Beziehung” auseinandersetzen. Oftmals ist der Wunsch zur Offenheit ungleichgewichtig, was heissen soll, der Wunsch offen zu leben ist bei der einen Person grösser als bei der anderen oder ist im Extremfall bei einer der beiden Personen gar nicht vorhanden. Hier wird es schwierig, denn Offenheit in einer Partnerschaft kann nur so weit gehen, wie sie von beiden Partnern mitgetragen wird. Hier gilt: Der Partner, der weniger oder gar keine Offenheit wünscht, gibt den Ton an. Alles andere funktioniert nicht. Und der Partner, der Offenheit leben möchte, hat keine Alternative, als den Konsenz der anderen Person zu suchen. Heimliche Liebschaften zählen hierbei nicht, da sie von vornherein bedeuten, einen wesentliche Aspekt der Hauptbeziehung vorzuenthalten und zusätzlich durch Lügen bei einem sensiblen Partner zu einer kompletten emotionalen Verunsicherung führen werden.

Eine jahrtausendealte gesellschaftliche Prägung hat uns gelehrt, unsere sexuelle Energie zu unterdrücken und in gesellschaftlich vorgegebenen Mustern zu leben. Viele spüren den Wunsch, sich daraus zu lösen, was sich als schwierig bis oftmals unmöglich erweist. Umfangreiche Aufräumarbeiten bei der eigenen Geschichte und mit den jeden Menschen ohne Ausnahme prägenden Normen sind angesagt.

Die Sexualenergie ist eine unwahrscheinliche Kraft. Diese auf bestimmte Funktionalitäten (Erhalt der eigenen Familie durch Fortpflanzung, Erhalt der Partnerschaft) zu reduzieren ist ein Ergebnis von Angst vor dem eigenen Potential. Unbestreitbar erfordert der Umgang mit Feuer Kenntnisse und Disziplin. Tantra beschäftigt sich mit dem Feuer der sexuellen Energie. Sich dieser Kraft zu nähern ist ein Spiel mit dem Feuer. Wer Sparflamme kocht, wird sich nicht einmal wärmen können. Wer das Feuer einsperrt, riskiert innerlich zu verbrennen. Wer das Feuer bewusst oder unbewusst zum Erlöschen bringt und ihm keine Nahrung gibt, riskiert krank zu werden.

Den eigenen Rahmen, der sexuellen Energie Raum zu geben, muss jeder Mensch selber finden. Hierfür den Rahmen der Kultivierung innerhalb einer Paarbeziehung zu wählen ist nur eine Möglichkeit. Ob sie für Dich stimmt, darfst Du selber herausfinden. Und Deine Entscheidung täglich wieder hinterfragen ...

P.S. Und wo bleibt hier die Liebe?

Partnerschaft ist ein Rahmen, eine Basis für zwei Menschen, gemeinsam ihr Leben zu gestalten. Partnerschaft ist ein Konstrukt, welches um lebendig zu bleiben viel Disziplin und Arbeit erfordert. Liebe lässt sich nicht verdienen. Sie blüht auf, wenn sie einen guten Nährboden hat. Sie lässt sich durch das Gebäude der Partnerschaft weder locken noch erzwingen. Wer sich auf das Abenteuer der Partnerschaft einlässt sollte liebesfähig sein. Natürlich kann eine lebendige Partnerschaft Teil des Fundamentes sein, das Liebe im Individuum zum Strömen bringt. Aber wenn Liebe strömt, dann gibt es keine Mauern und Auffangbecken - sie strömt überall und in alle Richtungen und wird auch die Partnerschaft erfüllen.

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